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Bezahlbare Wärme ohne Flüssigerdgas

Wie eine aktive Wärmepolitik milliarden sparen und das Klima schützen kann

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Bezahlbare Wärme ohne Flüssigerdgas
Bezahlbare Wärme ohne Flüssigerdgas. Foto: Adobe Stock Images

Erdgas wird in Deutschland auch über die aktuelle Krise hinaus deutlich teurer sein als in den vergangenen Jahren. Auf Deutschland kommen bis zum Ende des Jahrzehnts Mehrkosten von €120 bis 200 Mrd. zu. Um diese hohen Kosten zu vermeiden, braucht es einen Tempowechsel bei der Verbrauchsreduktion. Deutschland sollte das volle Einsparpotenzial im Gebäudesektor ausschöpfen. Rund 40 Prozent mehr Einsparungen sind bis 2030 möglich als von der Bundesregierung geplant. Die hohen Einsparpotenziale stellen in Frage, ob Deutschland neue Gasimportinfrastruktur benötigt.

Diese Studie prognostiziert künftige Erdgaskosten für Deutschland und zeigt, wie schon im kommenden Jahrzehnt große Mengen Erdgas eingespart werden können, um den hohen Kosten zu entgehen. Nach dem Wegfallen der russischen Lieferungen wird Deutschland künftig deutlich höhere Preise für seine Erdgasimporte bezahlen müssen. Der Markt für Flüssiggas wird bis 2030 angespannt bleiben. In der Folge bleibt der europäische Großmarktpreis hoch, der sowohl den Preisen für deutsche Importe aus Norwegen als auch von Flüssiggas zugrunde liegt. 

 

Historisch
2010 – 2019

Basisszenario
2023 – 2030

Risikoszenario
2023 – 2030

Jährliche Importkosten (€) 18,5 Mrd. 33,7 Mrd. 43,4 Mrd.
Steigerung –  82 % 135 %

 


Die kumulierten Mehrkosten belaufen sich bis 2030 auf €120 bis 200 Mrd. Diese hohen Importpreise werden von den Importeuren an die gasverbrauchenden Haushalte und Unternehmen weitergegeben. Für die Bevölkerung ist für den Rest des Jahrzehnts nahezu mit einer Verdopplung der Gaspreise zu rechnen.

  2010 – 2019 2023 – 2030  
Gaskosten € 1370 € 2620  
Steigerung –  91 %  
Made with Flourish


Eine dauerhafte Subventionierung der hohen Erdgaspreise wäre finanziell und ökologisch ruinös.  Eine nachhaltige Lösung kann nur in einer Verbrauchsreduktion bestehen. Andernfalls bezahlt Deutschland nicht nur die hohen Energiekosten, sondern auch die horrenden Kosten der sich verschärfenden Klimakrise.

Deutschland braucht ein “Zukunftsprogramm nachhaltige Wärme”, um das große Einsparpotenzial im Gebäudesektor maximal zu nutzen. Angestrebt werden sollte der jährliche Einbau von 1 Mio. Wärmepumpen und einer Sanierungsrate von 4 Prozent ab 2025. Um die dafür nötigen Investitionen anzureizen und für die Hauseigentümer wirtschaftlich zu gestalten, bedarf es einer staatlichen Förderung in Höhe von €20 Mrd. pro Jahr.

  Bundesregierung Zukunftsprogramm Wärme
Kumulierte
Einsparungen
470 TWh 810 TWh
Prozentuale
Einsparungen
16 % 28 %
Made with Flourish


  Einsparpotenzial im
Gebäudesektor
Importkapazität der geplanten LNG-Terminals
2026 120 TWh 117 TWh
2030 258 TWh 195TWh
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Einleitung: Mehr Energiewende wagen

Für Jahrzehnte war der Import günstiger fossiler Energieträger aus Russland ein wesentlicher Treiber der deutschen Wirtschaft, der Mobilität und der Gebäudewärme. Der erweiterte russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat diese Beziehung innerhalb weniger Monate beendet. Deutschland hat sich mit den EU-Partnern auf ein Embargo russischer Kohle und Erdöl geeinigt. Russland wiederrum hat seit Anfang 2021 damit begonnen, die Erdgasversorgung nach Europa sukzessive einzustellen. Russland hat sich nicht nur als verlässlicher Energielieferant dauerhaft diskreditiert. Der Umfang und die Brutalität des erweiterten russischen Angriffskriegs schließen eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in jedem absehbaren Zeitraum aus

Der Schwerpunkt der politischen Anstrengungen war bisher, die Erdgasversorgung und das Funktionieren des Gasmarkts für die kommenden beiden Winter angesichts des russischen Ausfalls sicherzustellen und die Bevölkerung von den enormen Preisanstiegen zu entlasten. Die Bundesregierung hat dafür insgesamt mehr als €300 Mrd. zur Verfügung gestellt. Mehrere Energieimporteure sind im Prozess, verstaatlicht zu werden.

Es bedarf ebenso großer politischer Anstrengungen, Deutschlands Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern dauerhaft zu reduzieren. Ohne entschlossenes staatliches Handeln zur Beschleunigung der Energiewende bezahlt Deutschland nicht nur dauerhaft hohe Energiekosten, sondern auch die horrenden Kosten der sich verschärfenden Klimakrise. Die auch für Deutschland immer dramatischer werdenden Folgen des Klimawandels verdeutlichen dies.

Um das gesetzlich verankerte Ziel Treibhausgasneutralität bis spätestens 2045 zu erreichen, muss der Verbrauch von Erdgas in den Bereichen Gebäude und Industrie bereits bis 2030 substanziell zurückgehen.

Tabelle 1: Zu erzielender Rückgang im Erdgasverbrauch bis 2030 nach aktuellen Studien

  Agora DENA BDI
Gebäude 41 % 30 % 41 %
Industrie 14 % 37 % 36 %

Quelle:  Agora Energiewende (2021); DENA (2021a); BDI (2021)

Die Bundesregierung hat neben den Entlastungspaketen auch beim Sondervermögen für die Bundeswehr gezeigt, dass sie in der Lage ist, hohe Summen zu mobilisieren, um auf gegebene Herausforderungen zu reagieren. Dieser politische Wille ist auch im Bereich der Energiewende nötig. Deutschland ist in der günstigen Position, aus eigener wirtschaftlicher und finanzieller Stärke heraus die für eine Verbrauchsreduktion nötigen Zukunftsinvestitionen tätigen zu können. Der geringere Verbrauch von Erdgas ist nicht nur ein entscheidender Schritt auf dem auf dem Weg zur Klimaneutralität. Niedrigere Gasrechnungen stärken zugleich den sozialen Zusammenhalt und fördern die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Parteien, die unter dem Credo des Fortschritts eine Regierung gebildet haben, sollten jetzt die notwendigen Schritte für einen echten Tempowechsel bei der Verbrauchsreduktion gehen.

Diese Studie setzt sich im ersten Teil zum Ziel, die Kosten der deutschen Erdgasimporte über die aktuelle Krise hinaus zu prognostizieren. Im zweiten Teil der Studie skizzieren wir ein “Zukunftsprogramm nachhaltige Wärme”, das es Deutschland noch in diesem Jahrzehnt erlaubt, große Teile seines Erdgasverbrauchs zu vermeiden. Ein wesentlicher Teil der hohen Importkosten kann so eingespart werden. Das stellt auch den Nutzen neuer, dauerhafter Infrastruktur zum Import von Erdgas in Frage.

Erdgasimporte: Ein auf Dauer teures Geschäft

Der Import von Erdgas wird Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts € 120 bis 200 Mrd. mehr kosten als bisher, einer Steigerung von 80 bis 135 Prozent. Die Zeit der günstigen deutschen Erdgasimporte ist vorbei.

In diesem Teil der Studie entwickeln wir Annahmen zur Zukunft der deutschen Erdgasimporte. Es ist unwahrscheinlich, dass Deutschland seine Abhängigkeit von Erdgas innerhalb weniger Jahre beenden wird. Daher ist die Frage relevant, zu welchen Konditionen deutsche Energieimporteure über die aktuelle Krise hinaus Erdgas am Weltmarkt beschaffen werden. Wir prognostizieren die erwarteten Kosten der deutschen Erdgasimporte sowie die daraus folgenden Kosten für Haushalte.

Deutsche Erdgasimporte in der Energiekrise

Deutschland importiert 95 Prozent seines Erdgasverbrauchs. Zwischen 2010 und 2019 belief sich der durchschnittliche jährliche Erdgasimport für den Inlandsverbrauch auf 789 TWh Erdgas. Davon stammten zuletzt 51 Prozent aus Russland, 25 Prozent aus Norwegen und 21 Prozent aus den Niederlanden.

Vor allem die Lieferungen aus Russland beruhten auf günstigen Langfristverträgen, wodurch Deutschland bei hohem geopolitischem Risiko von stabilen, niedrigen Preisen profitierte. Im vergangenen Jahrzehnt lagen die durchschnittlichen jährlichen Kosten für die deutschen Erdgasimporte bei € 18,5 Mrd.

Die langfristigen Verträge werden von Russland nicht länger bedient. Deutsche Energieimporteure müssen daher aktuell in großer Menge am Spotmarkt einkaufen, um die ausgefallenen russischen Lieferungen zu ersetzen und ihren eigenen Lieferverpflichtungen gegenüber Gasvertreibern und industriellen Großkunden nachzukommen. Diese Dynamik trieb den europäischen Großhandelspreis (Dutch TTF Front Month) im August 2022 auf durchschnittlich € 228 je MWh, mehr als zehn Mal so hoch wie anderthalb Jahre zuvor.

Prognose der künftigen Importkosten von Erdgas

Prognosen der Industriedatenbank IHS Markit zeigen: Auch mit der zunehmenden Verfügbarkeit von LNG wird der europäische Großhandelspreis für den Rest dieses Jahrzehnts deutlich über dem Vorkrisenniveau bleiben. Mindestens bis zum Jahr 2025 werden drei- bis fünffache Preise gegenüber dem Vorkrisenniveau anhalten. Auch über 2025 hinaus bleiben die Großhandelspreise um 50 bis 100 Prozent über den vorherigen Jahren.

Mittelfristig ist davon auszugehen, dass deutsche Energieimporteure für Teile der benötigten Mengen neue Langfristverträge schließen können, wodurch sich ihre Abhängigkeit von den Großmarktpreisen reduziert. Für die deutsche Energiewende ist es dabei jedoch essenziell, dass die vertragliche Bindung die nötige Verbrauchsreduktion nicht behindert. Grundsätzlich besteht somit ein Zielkonflikt zwischen möglichst günstigen Preisen und der Vermeidung einer langfristigen Bindung, wie sie bestimmte LNG-Exporteure anstreben. Durch die absehbare Verstaatlichung der zentralen Erdgasimporteure ist dieser Zielkonflikt nun unmittelbarer Gegenstand von politischen Entscheidungen geworden.  

Für Langfristverträge sind verschiedene Preisindizes denkbar. Noch bestehende Langfristverträge mit Norwegen orientieren sich bereits am TTF-Preis. Wir gehen davon aus, dass auch neue Verträge am TTF ausgerichtet sind, wobei extreme Preisschübe des TTF geglättet und insgesamt ein Preisnachlass gewährt wird. Da neue Langfristverträge auf LNG in einem kompetitiven Weltmarkt und im Kontext von sehr hohen Preisen geschlossen werden, werden Preisnachlässe jedoch gering ausfallen. Insgesamt gehen unsere Berechnungen davon aus, dass deutsche Gasimporteure je nach Lieferanten zwischen 50 und 80 Prozent ihrer Erdgaslieferungen über langfristige Verträge beziehen werden.

Auf Basis dieser Annahmen zeigen unsere Berechnungen: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine beendet die Zeit der günstigen deutschen Erdgasimporte dauerhaft. Deutschland wird selbst im günstigsten Szenario in den Jahren 2023 bis 2030 für seine Erdgasversorgung jährlich € 15 Mrd. mehr aufbringen müssen als im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts. In einem für die deutschen Energieimporte ungünstigen Szenario wird Deutschland die Erdgasversorgung jährlich € 25 Mrd. mehr kosten als in der Vergangenheit.

Tabelle 2: Historische und erwartete Importkosten für Erdgas

  Historisch 2010 – 2019 Basisszenario 2023 – 2030 Risikoszenario 2023 – 2030
Jährliche Importkosten (€) 18,5 Mrd. 33,7 Mrd. 43,4 Mrd.
Steigerung 82 % 135 %


Im Basisszenario gehen wir davon aus, dass Deutschland seinen Erdgasverbrauch bis 2030 um 30 Prozent reduzieren kann. Ein großer Anteil des Gasbedarfs würde in diesem Szenario über langfristige Verträge gedeckt werden, wobei sichergestellt werden muss, dass vertragliche Lock-in-Effekte vermieden werden. Außerdem wird im günstigen Szenario ein höherer Preisrabatt gegenüber den TTF-Prognosen angenommen.

In einem für deutsche Gasimporteure ungünstigerem Szenario liegen die Kosten noch einmal deutlich höher. Exporteure wie Katar machen bisher keine Anzeichen, von ihrer Forderung nach sehr langjährigen, unflexiblen Verträgen abzuweichen. Derartige Verträge sind mit dem deutschen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 kaum zu vereinbaren. Entsprechend wenige dieser Verträge dürften geschlossen werden, und entsprechend gering wären entsprechende Preisrabatte. Im ungünstigeren Szenario gehen wir außerdem davon aus, dass die Dekarbonisierung in Deutschland schleppender verläuft und der Erdgasverbrauch bis 2030 lediglich um 25 Prozent reduziert werden kann.

Kumuliert belaufen sich die Mehrkosten der der deutschen Gasimporte bis zum Jahr 2030 auf € 120 bis 200 Mrd. gegenüber den historischen Importkosten des vergangenen Jahrzehnts.

Methodik

Herkunftsländer: Auf der Importseite wird vorausgesetzt, dass ab 2023 kein russisches Gas mehr importiert wird. Ab 2023 betrachten wir Gasimporte aus Norwegen sowie den Import von Flüssigerdgas, entweder über die Terminals in den westlichen Nachbarländern, v.a. in Belgien, oder über eigene Terminals.

Gasverbrauch: Der erwartete Gasverbrauch basiert auf IHS (2022c) sowie auf Modellierungsergebnissen von Agora Energiewende (2021). In beiden Szenarien wird mit einem substanziellen Verbrauchsrückgang bis 2030 gerechnet. Der Verbrauchsrückgang fällt im Basisszenario höher aus.

Preisprojektion: Grundlage für die Preisberechnung ist die Projektion des TTF von IHS Markit (IHS 2022a). Zur Bepreisung der historischen Importe verwenden wir BAFA-Grenzübergangspreise (IHS 2022b). Historische Preise für Haushaltskunden stammen von Destatis (2022a).

Verträge und Konditionen: Wir nehmen an, dass für jeweils einen Teil der Importmengen Langfristverträge abgeschlossen werden. Der jeweils verbleibende Teil wird über den Spotmarkt abgewickelt. Der Anteil der Langfristverträge und die Preisstruktur unterscheidet sich zwischen Lieferungen aus Norwegen und LNG-Lieferungen. Langfristverträge orientieren sich an TTF, haben aber eine gegenüber den Spotpreisen geglättete Preisstruktur. Je nach Lieferanten wird bei Langfristverträgen zudem ein unterschiedlich großer Preisabschlag gewährt.

Gas-Haushaltskundenpreise: Für die Berechnung von Gaspreisen für Haushaltskunden sind Spotpreise (TTF) maßgeblich, die im plausiblen Fall der nicht-vollständigen Importabdeckung durch LTC den Grenzpreis darstellen.

Inflationserwartungen: Alle Preise und Kosten sind in Euro (real 2021) angegeben. Wo notwendig rechnen wir nominale in reale Preisdaten um.

Prognosen der Kosten für Haushalte

Die hohen Importkosten reflektieren eine anhaltende, reale Knappheit von Erdgas im nordwesteuropäischen Gasnetz. Sie müssen auf die ein oder andere Art von der deutschen Gesellschaft getragen werden. Ohne staatliche Markteingriffe müssen diejenigen für die hohen Importkosten von Erdgas aufkommen, die es auch verbrauchen: Gasimporteure wie Uniper und VNG werden die Weltmarktpreise an ihre Abnehmer weitergeben, darunter Gasvertreiber wie lokale Stadtwerke und industrielle Großkunden. Über die Gasvertreiber erreichen die hohen Preise schließlich die Haushalte.

Auf Basis der Importkosten für Erdgas zeige unsere Berechnungen die erwarteten Gaspreise für Haushaltskunden. Daraus wird klar: Eine Rückkehr zu Haushaltspreisen wie vor der Krise wird es nicht geben. Lag der Gaspreis für Haushalte zwischen 2010 und 2019 bei durchschnittlich 6,8 ct / kWh, werden Gaskunden in den Jahren 2023 bis 2030 durchschnittlich 13,1 ct / kWh bezahlen müssen. Die Gasrechnungen für Haushaltskunden werden sich im Rest des Jahrzehnts also nahezu verdoppeln. Für eine Familie mit einem jährlichen Gasverbrauch von 20.000 kWh bedeutet dies in diesem Jahrzehnt jährliche Mehrkosten von rund € 1250.

Tabelle 3: Jährliche Gaskosten für einen Vierpersonenhaushalt (20.000 kWh)

  2010 – 2019 2023 – 2030
Gaskosten € 1370 € 2620    
Steigerung 91 %

Gaspreisbremse und nachhaltige Alternativen

Es ist angesichts dieser enormen Mehrbelastung richtig, Haushalte und Unternehmen von den stärksten Auswirkungen des Preisanstiegs zu entlasten. Die Bundesregierung hat sich in der aktuellen Krise entschieden, diese Entlastung durch den Gaspreisdeckel und eine Mehrwertsteuersenkung auf Gas unmittelbar beim Gaspreis vorzunehmen.

Die Prognose für die durchschnittlichen Gaspreise für Haushalte verdeutlichen, dass dies kein dauerhaft gangbarer Weg sein kann. Eine dauerhafte Subvention des Gaspreises würde den Anstrengungen der Bundesregierung diametral entgegenstehen, Deutschland auf den Weg zur Klimaneutralität voranzubringen. Um dem bis 2030 notwendigen Rückgang des Gasverbrauchs nicht aktiv und auf finanziell ruinöse Weise im Weg zu stehen, muss die Politik Instrumente entwickeln, den Endkonsumenten dauerhaft erhöhte Preise zuzumuten, ohne die wirtschaftlich schwächsten Haushalte und Unternehmen allein zu lassen.

Anstatt mit den staatlichen Mitteln in Milliardenhöhe den Erdgaspreis selbst zu drücken, muss im Zentrum einer nachhaltigen Lösung der Gaspreiskrise eine strukturelle Verbrauchsreduktion stehen. Nur durch einen nachhaltigen Rückgang im Verbrauch können Gaskonsumenten und Steuerzahlende dauerhaft vor den hohen Kosten geschützt werden.

Wir skizzieren im Folgenden ein Programm, mit dem Deutschland bereits in dieser Dekade substanziell Erdgas im Gebäudebereich einsparen kann. Damit würde die Bundesregierung Haushalte und Unternehmen nicht nur vor den hohen Importkosten schützen, sondern auch einen großen Schritt in Richtung eines klimaneutralen Gebäudesektors gehen.

Internationale Erdgasmärkte – 2022 und danach

Wir zeigen in diesem Papier, was hohe Weltmarktpreise von Erdgas für Deutschland bedeuten. Die Preisannahmen basieren auf Daten des führenden Marktforschungsinstituts IHS Markit. Was erklärt die anhaltend hohen Preise auch über die aktuelle Krise hinaus?

Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind die russischen Gaslieferungen in viele europäische Länder zum Erliegen gekommen. In den nächsten Jahren werden voraussichtlich alle oder zumindest die meisten europäischen Länder auf russisches Gas verzichten. Die nun in Russland überschüssigen Gasmengen können nicht ohne weiteres in andere Länder importiert werden. Sowohl die Pipeline-Verbindungen nach Ostasien als auch die Exportmöglichkeiten von Flüssigerdgas durch Russland sind begrenzt. Dem Weltmarkt werden durch die Ereignisse somit insgesamt größere Mengen Gas entzogen.

Auf der anderen Seite versuchen die europäischen Länder, darunter insbesondere auch Deutschland, die nötigen Gasmengen am LNG-Markt zu beschaffen. Wegen der Pipelineverbindungen zu Russland machte LNG bisher nur ein Fünftel der europäischen Gasimporte aus. Neben den Europäern tragen auch asiatische Länder zu einem starken Anstieg der Nachfrage bei. Die IEA erwartet bis 2025 einen Nachfrageanstieg um 140 Mrd. Kubikmeter Erdgas – fast das anderthalbfache des jährlichen deutschen Erdgasverbrauchs.

Die steigende Nachfrage führt jedoch nicht in gleichem Maße zu höherem Angebot. Neue Exportkapazität steht üblicherweise erst drei bis fünf Jahre nach einer Investitionsentscheidung am Markt zur Verfügung. Überkapazitäten in den Jahren 2015 bis 2019 führten zu geringen Investitionen. Insbesondere während der Covid-Pandemie gab es kaum Investitionsentscheidungen für neue Projekte. Diese Zeit niedriger Investitionen führt aktuell dazu, dass das Angebot nur langsam ansteigt.

Vieles spricht dafür, dass Investoren auch in Zukunft nur zurückhaltend in Kapazitätssteigerungen investieren werden. Angesichts eines kompetitiven globalen Markts haben neue Exportprojekte eine Amortisationsdauer von bis zu 20 Jahren. Dagegen hat sich die EU im Rahmen ihres REPowerEU-Programms einem deutlichen Rückgang des Gasverbrauchs schon in diesem Jahrzehnt verschrieben. Mit zunehmend günstiger werdenden erneuerbaren Energieträgern sind die langfristigen Nachfrageerwartungen auch in anderen Weltregionen ungewiss: China, bisher der am stärksten wachsende Importmarkt, setzt sich in seinem neuen Fünfjahresplan umfangreiche Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energieträger. In Ländern wie den Philippinen und Bangladesch führt der aktuelle Preisanstieg dazu, dass Importe nicht wie geplant stattfinden.

Diese Spannung aus einer kurzfristig stark gestiegenen Nachfrage bei einem langfristigen Nachfragerückgang führt dazu, dass die die hohen Preise keine signifikante Stärkung des Angebots nach sich ziehen. In der Folge ist damit zu rechnen, dass die Weltmarktpreise von Erdgas für den Rest des Jahrzehnts erhöht bleiben, bis der erwartete Nachfragerückgang die Preise zunehmend zurückgehen lässt. Für Deutschland bedeutet dies dauerhaft erhöhte Importkosten – und die verstärkte Notwendigkeit, Erdgas einzusparen.

Diese Dynamik zeigt sich in der aktuellen Krise daran, dass deutsche Energieimporteure zurückhaltend darin sind, sich zur langfristigen Abnahme hoher Gasmengen zu verpflichten. Mehr als die Hälfte der weltweiten Abnahmegarantien werden aktuell von Portfolioakteuren geschlossen, die in Form von langfristigen Verträgen Gas einkaufen und zum Spotmarktpreis oder anderen flexibleren Preisstrukturen verkaufen. Dies bietet den Käufern mehr Flexibilität, trägt aber im Gegenzug ebenfalls zu erhöhten Preisen bei.

Zukunftsprogramm nachhaltige Wärme

Bis 2030 können allein im Gebäudesektor 40 Prozent mehr Erdgas eingespart werden als von der Bundesregierung geplant. Um die dafür benötigten Investitionen anzureizen, braucht es ein “Zukunftsprogramm nachhaltige Wärme”, das sowohl eine umfassende finanzielle Förderung als auch ein Rahmenprogramm zur technischen Umsetzung enthält. Die im Gebäudesektor bis 2030 möglichen Einsparungen sind höher als die Importkapazität der geplanten landseitigen LNG-Terminals, deren Notwendigkeit dadurch fraglich ist.

In diesem Teil der Studie beschreiben wir ein Programm, mit dem im Gebäudesektor noch in diesem Jahrzehnt große Mengen Erdgas eingespart werden können. Wir berechnen die staatliche Förderung, die gebraucht wird, um die dafür nötigen Investitionen anzureizen. Eine Gegenüberstellung mit geplanten neuen Importkapazitäten von Erdgas zeigt, dass noch in diesem Jahrzehnt mehr Gas im Gebäudebereich eingespart werden kann, als an permanenter Importkapazität in Form von LNG-Terminals geplant wird.

Dekarbonisierung im Gebäudebereich

Mit einem Drittel des Endenergieverbrauchs kommt dem Gebäudesektor eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität zu. Das Klimaschutzgesetz gibt bis 2030 eine Minderung des Treibhausgasausstoßes im Gebäudesektor von
43 Prozent gegenüber 2020 vor. Der Expertenrat für Klimafragen hält die von der der Bundesregierung geplanten Maßnahmen grundsätzlich für geeignet, dieses Ziel zu erreichen, auch wenn es Zweifel gibt, ob die Umsetzung sichergestellt ist.

Das bisherige Sektorziel reizt die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung jedoch bei Weitem nicht aus. Ein treibhausgasneutraler Gebäudesektor bis zum Jahr 2035 ist möglich. Bis 2030 würden so über 60 Prozent der Treibhausgasemissionen vermieden. Die hier vorgestellten Maßnahmen basieren auf diesem Ziel.

Rund die Hälfte der in Deutschland erzeugten Raumwärme und des Warmwassers basiert auf Erdgas. Deutschland braucht ein “Zukunftsprogramm nachhaltige Wärme”, um das große Potenzial zur Einsparung von Erdgas im Gebäudebereich noch deutlich schneller zu heben, als es die Bundesregierung aktuell plant. Nur so können Verbrauchende und Steuerzahlende in Deutschland vor den exorbitanten Kosten geschützt werden, die bei einer fortgesetzten fossilen Beheizung zu bezahlen sein werden.

Den Gebäudesektor klimaneutral zu gestalten wäre nicht nur ein zentraler Baustein der deutschen Energiewende, sondern auch eine langfristig wirksame sozialpolitische Maßnahme, insbesondere wenn einkommensschwache Haushalte bei der Förderung priorisiert würden. Ein umfassendes Programm im Gebäudebereich hilft auch der Wirtschaft: Gerade kleinere und mittlere Unternehmen werden in den kommenden Jahren unter hohen Heizkosten leiden und würden direkt von Maßnahmen im Gebäudesektor profitieren. Nicht zuletzt würde damit auch die Vorgabe des Koalitionsvertrages erfüllt, bis 2030 die Hälfte der Wärme im Gebäudebereich klimaneutral zu erzeugen.

Elemente des “Zukunftsprogramms nachhaltige Wärme”

Bis 2030 sollten im Rahmen des “Zukunftsprogramm nachhaltige Wärme” folgende Ziele erfüllt werden: die Sanierung von einem Drittel der Bestandsgebäude auf einen Niedrigenergie-Standard; die Installation von zusätzlichen 7,7 Mio. Wärmepumpen; der Zubau von knapp 30 Mio. Quadratmeter Solarthermie; sowie 1,5 Mio. zusätzliche Fernwärmeanschlüsse. Die Werte orientieren sich am Ziel eines treibhausgasneutralen Gebäudesektors bis 2035. Um die genannten Werte zu erreichen ist bis 2030 eine jährliche Förderung in Höhe von rund € 20 Mrd. aus Bundesmitteln nötig.

  1. Sanierungen: Wärme, die ein Gebäude nicht verliert, muss nicht erzeugt werden. Die Bundesförderung für effiziente Gebäude sollte so weiterentwickelt werden, dass sie zusammen mit anderen Instrumenten die energetische Sanierungsrate auf mindestens vier Prozent jährlich steigert, sodass in den kommenden Jahren rund ein Drittel der Bestandsgebäude saniert werden. Zusätzlich zur ausreichenden Förderung bedarf es strengerer Standards und Sanierungspflichten sowie praktische Unterstützungsangebote um Umsetzungshemmnissen nichtfinanzieller Natur zu begegnen. Bei Sanierungen sollte nach dem Prinzip „Worst first“ vorgegangen werden.
  2. Wärmepumpen: Wärmepumpen sind die zentrale Säule der Energiewende im Gebäudebereich. In einem klimaneutralen Gebäudesektor werden sie 60 bis 80 Prozent der Heizungsanlagen ausmachen, was mindestens 12 Millionen Geräten entspricht. Die Bundesregierung verfolgt aktuell das Ziel, ab 2024 jährlich 0,5 Mio. Wärmepumpen zu installieren. Dieses Ziel sollte deutlich angehoben werden, sodass ab 2025 jährlich 1 Mio. Wärmepumpen installiert werden.
  3. Klimaneutrale Nah- und Fernwärme: Klimaneutrale Nah- und Fernwärme ist die zweite Säule der Dekarbonisierung des Wärmesektors. Bis 2030 sollten 1,5 Mio. neue Fernwärmeanschlüsse durchgeführt werden, wobei die Fernwärme dann bereits zu 65 Prozent klimaneutral betrieben werden sollte, d.h. mit Geothermie, Umgebungswärme, großen Solarthermieanlagen, großen Wärmepumpen, Nutzung unvermeidbarer Abwärme sowie kurzfristigen und saisonalen Wärmespeichern. Der Hochlauf von Wärmenetzen muss mit dem dafür richtigen gesetzlichen Rahmen einhergehen.
  4. Solarthermie: Bei der Solarthermie besteht eine Flächenkonkurrenz mit der Nutzung durch PV-Anlagen, die bei der Zielsetzung berücksichtigt werden muss. Wir gehen von einem Anteil von 10 Prozent bezogen auf das gesamte Dachflächenpotenzial in Deutschland aus. Für 2030 ergibt dies einen Zielwert von 29 Mio. Quadratmeter zusätzlicher Solarkollektorfläche.

Maßnahmenbezogene jährliche operative Zielsetzungen bis 2030

Maßnahme 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 2030 Summe
Wärmepumpen (Mio.) 0,35 0,55 0,8 1 1 1 1 1 1 7,7 Mio.
Solarthermie
(Mio m2)
1 1,7 2,5 3,5 4 4 4 4 4 29 Mio.
Sanierungsrate 2% 2,7% 3,5% 4% 4% 4% 4% 4% 4% 32%
FW-Anschlüsse (Mio.) 0,03 0,06 0,1 0,15 0,2 0,25 0,25 0,25 0,25 1,54

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis Greenpeace (2022).

Förderkosten

Tabelle 5: Für Zielerreichung nötige Fördermittel bis 2030

Maßnahme Fördermittel und EEG-Umlage – alle Gebäude (Mrd. €/a) Fördermittel und EEG-Umlage –  gasbeheizte Gebäude (Mrd. €/a)
Wärmepumpen 4,5 3,0
Solarthermie 0,9 0,4
Gebäudesanierung 12,3 5,8
Nah- und Fernwärme 2,9 1,3
Gesamt 20,6 10,5

Quelle: Eigene Berechnungen.

Um diese Ziele zu erreichen, braucht es im Rahmen des „Zukunftsprogramms Wärme“ eine ausreichende staatliche Förderung. Der Bund sollte bis 2030 jährlich rund € 20 Mrd. investieren, um den deutschen Gebäudesektor auf den Weg zur Klimaneutralität 2035 zu bringen. Durch diese Summe können die genannten Zielwerte bis 2030 erreicht werden.

Methodik

Die genannten Zielwerte (Tabelle 4) orientieren sich am Ziel eines treibhausgasneutralen Gebäudesektors bis zum Jahr 2035. Die Zielwerte werden bis 2025 von den historischen Werten (2021: 2 Prozent Sanierung; 160.000 Wärmepumpen; geringe Fallzahlen Solarthermie und Fernwärmeanschlüsse) auf die Zahlen hochgefahren, die danach bis 2035 jährlich nötig sind (4 Prozent Sanierung pro Jahr; 1 Mio. Wärmepumpen pro Jahr; bei Solarthermie und Fernwärme werden mit 3,5 Mio. Quadratmetern bzw. 150.000 Anschlüsse die nötigen Zielwerte im Jahr 2025 noch nicht erreicht).

Für die Ermittlung der Förderkosten (Tabelle 5) wird ein Referenzszenario „Frozen efficiency“ (1:1 Erneuerung von bestehenden Heizungsanlagen und Gebäudehüllen) mit den Zusatzkosten für die grünen Investitionen verglichen. Dabei wird die Wirtschaftlichkeit über die Lebensdauer der Anlagen berechnet, indem die Zusatzinvestitionskosten annuisiert und mit den Energiekosteneinsparungen durch die Wärmepumpen, Solaranlagen und die Sanierung verglichen werden. Die Energiepreise orientieren sich an der im ersten Teil der Studie vorgestellten Kostenprojektion. Für die Berechnung der Förderhöhe bei der Gebäudesanierung wird angenommen, dass Energiekosteneinsparungen um mindestens 50 Prozent über den Zusatzinvestitionskosten inkl. Förderung liegen müssen, um die vielfältigen Umsetzungshemmnisse und die Status-Quo-Verzerrung zu überwinden. Angesichts der gestiegenen Energiepreise reicht dafür eine Förderung von durchschnittlich 15 Prozent aus. Bei Wärmepumpen erfolgt die Bestimmung der Förderhöhe mit dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit für verschiedene Anwendungsfälle in Ein-/Zweifamilienhäusern bzw. Mehrfamilienhäusern zu gewährleisten. Hieraus und mit Blick auf die Investitions- und Betriebskosten leitet sich eine nötige Förderquote von 25 Prozent in Ein-/Zweifamilienhäusern und 35 Prozent in Mehrfamilienhäusern ab.

Ein technisch mögliches und politisch notwendiges Programm

Das aufgezeigte Programm ist in seinen Zielen ambitioniert, aber realistisch. Die enorme Verteuerung der deutschen Energieimporte, die geopolitische Ausnahmesituation und die sich auch in Deutschland rapide zuspitzende Klimakrise erfordern ein solch entschlossenes Handeln im Gebäudesektor.

Für die Dekarbonisierung der Gebäude stehen alle notwendigen Technologien bereit. Die drastische, anhaltende Verteuerung der fossilen Energieträger macht viele Maßnahmen schon über kürzere Zeiträume hinweg wirtschaftlich. Das Risiko besteht, dass falsche Preisannahmen, Status-quo-Verzerrung und mangelnde Finanzierungsoptionen die wirtschaftlich günstigere Dekarbonisierung verzögern, mit fatalen Folgen für Heizkosten und das Klima. Entschiedenes, proaktives staatliches Handeln kann diese Hürden überwinden und einen echten Tempowechsel im Gebäudebereich herbeiführen.

Dazu bedarf es neben der finanziellen Förderung auch eines umfassenden Programms, das die technische Umsetzbarkeit sicherstellt. Die Bundesregierung sollte den Austausch mit den Herstellern von Wärmepumpen fortsetzen und Planungssicherheit garantieren, u.a. durch die Vorgabe, dass neue Heizungssysteme künftig mit 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Zudem muss die geplante Weiterbildungsoffensive substantiiert und rasch vorangetrieben werden, um im Handwerk die nötige Kapazität für die Installation der Geräte zu schaffen. Dies muss als prioritäre nationale Aufgabe angesehen werden, die nur gemeinsam von Regierung, Handwerk und Herstellerfirmen bewältigt werden kann.

Gelingt es Deutschland, zum führenden Land in der Produktion und im Einbau von Wärmepumpen zu werden, schützt das nicht nur vor hohen Energiekosten und Klimafolgen, sondern stärkt die beteiligten Unternehmen, schafft Arbeitsplätze und eröffnet mittelfristig neue Exportmöglichkeiten.

Auch in der Sanierung braucht es neben Fördermitteln und strengeren Standards ein umfassendes Rahmenprogramm, um die technischen und praktischen Bedingungen für eine stark ansteigende Sanierungsrate zu ermöglichen. Dazu gehört die Einrichtung von sogenannten One-stop-shops. Diese Stellen bieten Beratung und praktische Unterstützung durch den gesamten Prozess, von der gezielten Ansprache über die Beratung, Auswahl von Firmen bis hin zur Qualitätskontrolle. So kann es gelingen, auch mit reduzierten Fördersätzen die angestrebte Sanierungsrate zu steigern. Auch die Potenziale der Vorfertigung (industrielle Sanierung) müssen stärker genutzt werden, um die Sanierungskosten zu senken.

Mögliche Gaseinsparungen

Durch die aufgezeigten Maßnahmen können bereits in diesem Jahrzehnt substanzielle Mengen Erdgas eingespart werden – zusätzlich zu dem, was die Bundesregierung im Gebäudesektor bereits unternimmt. Bis zum Jahr 2030 können im Gebäudesektor im Vergleich zu den Vorhaben der Vorgängerregierung kumuliert 810 TWh Erdgas eingespart werden. Die Pläne der Bundesregierung bedeuten lediglich Einsparungen von 470 TWh bis 2030. Auch wenn die neue Bundesregierung deutlich ambitionierter ist als ihre Vorgängerin, besteht nach wie vor großes ungenutztes Potenzial.

Tabelle 6: Gaseinsparungen im Gebäudesektor bis 2030 (je ggü. Vorgängerregierung)

  Bundesregierung Zukunftsprogramm Wärme
Kumulierte
Einsparungen
470 TWh 810 TWh
Prozentuale
Einsparungen
16 % 28 %

Auswirkungen auf den Bedarf an LNG-Terminals

Die Umsetzung des “Zukunftsprogramms nachhaltige Wärme” erlaubt Gaseinsparungen, welche die Notwendigkeit neuer Infrastruktur zum Gasimport in Frage stellen. Bis zur Inbetriebnahme der Terminals sind Gaseinsparungen im Gebäudesektor möglich, die über die geplante Importkapazität der Terminals hinausgeht. Es ist nötig, die Möglichkeit solcher ökonomisch und klimapolitisch sinnvoller Verbrauchseinsparung bei der Planung neuer Gasinfrastruktur zu berücksichtigen.

Um die wegfallenden Importe aus Russland zu ersetzen, stellt die Bundesregierung aktuell € 3 Mrd. aus dem Bundeshaushalt für die Anmietung schwimmender Terminals zum LNG-Import bereit. Neben den schwimmenden Terminals planen Energieimporteure den Aufbau zweier permanenter LNG-Terminals in Stade und Brunsbüttel, mit politischer Unterstützung der Bundesregierung. Das Terminal in Stade, mit einer erwarteten jährlichen Kapazität von 117 TWh, wird frühestens 2026 zur Verfügung stehen; das Terminal in Brunsbüttel, mit einer erwarteten jährlichen Kapazität von 78 TWh, frühestens 2027.

Der Aufbau neuer permanenter Infrastruktur zum Import von Erdgas und die Erdgas-basierte Energiediplomatie der Bundesregierung stehen nicht in Einklang mit den für die gesetzlich festgelegte Treibhausgasneutralität bis 2045 nötigen Dekarbonisierungspfaden. Wie diese Studie zeigt, bindet dieser Aufbau die deutsche Energieversorgung außerdem an einen internationalen Markt, der auf absehbare Zeit von hohen und volatilen Preisen bestimmt sein wird.

Eine Gegenüberstellung mit den vorherigen Ergebnissen zeigt: Allein im Gebäudesektor kann bis zum Ende des Jahrzehnts mehr an jährlichem Verbrauch gespart werden, als über die die beiden landseitigen Terminals importiert werden würde.

Tabelle 7: Jährliches Einsparpotenzial (ggü. 2021) und potenziell neue Importkapazität

  Einsparpotenzial im
Gebäudesektor
Importkapazität der geplanten LNG-Terminals
2026 120 TWh 117 TWh
2030 258 TWh 195 TWh

Den Neubau von Infrastruktur zum Gasimport politisch oder gar finanziell zu fördern ist angesichts der zur Verfügung stehenden Alternativen nicht geboten. Vielmehr sollte die Bundesregierung ihre eigenen Erdgasverbrauchsziele und die dahinterstehenden Preisannahmen veröffentlichen, um nationalen wie internationalen Investoren ein realistisches Bild über die Entwicklung des deutschen Erdgasmarkts zu bieten.

Industrie

Neben dem Gebäudesektor kommt der Industrie eine entscheidende Rolle bei der Verbrauchssenkung von Erdgas in Deutschland zu. Erdgas ist der wichtigste Energieträger in der Industrie, deutlich vor Strom. Vor allem in der chemischen Industrie, der Nahrungs- und Futtermittelherstellung sowie der Metallerzeugung und -bearbeitung ist Erdgas von hoher Bedeutung.

Auch in der Industrie sind kurzfristig substanzielle Einsparungen möglich: Agora Energiewende und Wuppertal Institut gehen davon aus, dass der Erdgasverbrauch in der Industrie bis 2030 um etwa die Hälfte zurückgehen kann (entspricht 120 bis 140 TWh pro Jahr). Ein großer Teil der Verbrauchsreduktion geht auf Elektrifizierung von Prozesswärme bis 500°C zurück (Elektrodenkessel und Wärmepumpen). Hinzu kommen weitere Einsparungen durch Elektrifizierung im Bereich über 500°C, durch Effizienzverbesserungen sowie den stofflichen Einsatz von Erneuerbarem Wasserstoff. Auch in der Industrie spielt Gebäudedämmung eine wichtige Rolle.

Wirtschaftliche Einsparungen

Wie im ersten Teil der Studie aufgezeigt, wird der Import von Erdgas über die kommenden Jahre hinweg deutlich teurer, als er in der Vergangenheit war. Auf gasbeheizte Haushalte und Unternehmen kommen somit dauerhaft hohe Mehrkosten zu. Anstatt zu versuchen, die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen dieser hohen Preise nachträglich zu kompensieren, braucht es ein gezieltes Gegensteuern gegen einen unnötig hohen Gasverbrauch. Die dafür eingesetzten Mittel und Investitionskosten kommen so der deutschen Energiewende zugute, anstatt den Staatsfonds internationaler Gasexporteure.

Die hier aufgezeigten Vorschläge für den Gebäudesektor bedeuten für Haushalte, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen ab dem Jahr 2030 jährliche Einsparungen von netto rund 9,5 Mrd.

Abbildung 6: Wirtschaftlichkeit des “Zukunftsprogramms nachhaltige Wärme” für die Verbrauchenden

Die Nettoeinsparungen ergeben sich aus den Bruttoeinsparungen, d.h. aus den gesamten Energiekosteneinsparungen der Gebäudenutzenden (Haushalte, Unternehmen, öffentliche Einrichtungen), minus der Annuitäten, d.h. der über die Jahre hinweg gestreckten Investitionskosten. Die Bruttoeinsparungen belaufen sich anhand der zugrunde gelegten Energiepreise auf rund € 25 Mrd. pro Jahr. Die zusätzlichen Stromkosten für die Wärmepumpen sind dabei schon abgezogen. Die Annuitäten der Zusatzkosten der Wärmewende belaufen sich auf knapp € 16 Mrd. pro Jahr. Bei der Berechnung werden zunächst die Investitionen um die jeweilige Förderung verringert und dann die Annuitäten mit dem Zinssatz von zwei Prozent und den technischen Lebensdauern der Anlagen bzw. Sanierung ermittelt. Die verbleibenden Nettoeinsparungen von insgesamt € 9,5 Mrd. pro Jahr ab 2030 bis zum Ende der Nutzungsdauer der jeweiligen Anlagen oder Gebäudeteile verdeutlichen: Alle Arten von Investitionen, die durch das Zukunftsprogramm Wärme angestoßen werden, sind im Durchschnitt für die Energieverbrauchenden wirtschaftlich positiv oder neutral.

Allerdings gibt es das Vermietende-Mietende-Dilemma: Für die Vermietenden werden allein mit der Förderung die Zusatzkosten meist nicht abgedeckt. Auch wenn der Wert der Gebäude steigt und die Modernisierungsumlage genutzt werden kann, wird es Gebäude geben, für die die Anreize für die Sanierung oder Heizungsumstellung aus Sicht der Vermietenden zu gering sind, um aktiv zu werden. Deswegen ist neben der Förderung die Einführung von Austausch- und Sanierungspflichten wichtig. Um die Anreize für die Vermietenden weiter zu verbessern, sollte ein Übergang von der Modernisierungsumlage auf ein Teilwarmmietenmodell geprüft werden, wie es die Bundesregierung angekündigt hat. Einen Beitrag dazu bringt es zudem, dass der CO2-Preis nur bei energetisch guten Gebäuden überwiegend von den Mietenden zu zahlen ist aber sonst ganz oder teilweise von den Vermietenden, wie es die neue Bundesregierung beschlossen hat.

Treibhausgaseinsparungen

Investitionen in nachhaltige Wärme sind nicht nur wirtschaftlich und stärken Deutschlands geopolitische Unabhängigkeit. Sie sind zugleich ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität. Schon bis 2030 würden die CO2-Emissionen im Gebäudesektor um 64 Prozent reduziert. Das ist deutlich mehr als laut Klimaschutzgesetz, das nur 43 Prozent Minderung vorsieht.

Schluss

Eine über Jahrzehnte auf- und ausgebaute Säule des deutschen Energiesystems ist mit dem erweiterten russischen Angriff auf die Ukraine innerhalb von Wochen zusammengebrochen. In den Monaten nach Kriegsbeginn wurde in Deutschland intensiv über die Auswirkungen gestritten, die ein Embargo auf russische Erdgaslieferungen hätte. Diese Diskussionen haben sich erübrigt, nachdem Russland seinerseits die Flüsse stoppte. Alle Bemühungen konzentrierten sich in der Folge darauf, die Gasspeicher zu füllen, um gut über die kommenden Winter zu kommen.

Deutschland muss nun über die kommenden beiden Jahre hinausblicken. Wir zeigen mit dieser Studie, welche Mehrkosten auf Deutschland bis 2030 zukommen, wenn es seine Abhängigkeit von Gas nicht reduziert. Diese Zahlen müssen Teil der Debatte sein, wenn es um den Ausweg aus der aktuellen Krise geht.

Denn es gibt Alternativen: In der Krise liegt die Chance, durch entschlossenes Handeln viele Vorteile einer dekarbonisierten Gesellschaft vorzuziehen und noch in diesem Jahrzehnt Wirklichkeit werden zu lassen. Deutschlands Abhängigkeit von Erdgas ist nicht irreversibel, die hohen Preise sind nicht unausweichlich. Gerade im Gebäudebereich kann Deutschland schon in den kommenden Jahren einen Großteil seines Erdgasverbrauchs einsparen. Deutschland hat die wirtschaftliche, finanzielle und politische Stärke, heute die nötigen Investitionsentscheidungen zu treffen, um diesen Weg zu gehen. Es wäre fahrlässig, diese Stärken nicht zu nutzen, um die Deutschland von vielen Ländern beneidet wird.

Unsere Partner

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The Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) examines issues related to energy markets, trends and policies. The Institute’s mission is to accelerate the transition to a diverse, sustainable and profitable energy economy. www.ieefa.org  

Das Wuppertal Institut

Das Wuppertal Institut versteht sich als führender internationaler Think Tank für eine impact- und anwendungsorientierte Nachhaltigkeitsforschung. Im Fokus der Arbeiten steht die Gestaltung von Transformationsprozessen hin zu einer klimagerechten und ressourcenleichten Welt. www.wupperinst.org

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Die Neon Neue Energieökonomik ist ein energiewirtschaftliches Beratungsunternehmen mit Sitz in Berlin. Als Boutique sind wir seit 2014 spezialisiert auf anspruchsvolle quantitative und ökonomisch-theoretische Analysen im Bereich der Energiemärkte. Neon unterstützte im Rahmen dieser Studie die Kostenabschätzungen des Gas- und Stromverbrauchs. www.neon.energy

Danksagungen

Wir danken Lion Hirth, Jonathan Mühlenpfordt, Stefan Thomas, Florin Vondung, Sascha Samadi, Clemens Schneider, Arjun Flora, Ana Maria Jaller-Makarewicz, Nick Holzberg, Tina Löffelsend, Ronan Palmer, Lisa Fischer, Julia Kislitsyna, Brick Medak, Oyku Senlen Gundogan, Adeline Rochet, Raphael Hanoteaux, Kamila Godzinska, Maria Pastukhova, Ysanne Choksey, Sascha Boden, Elisabeth Staudt, Paul Münnich, Julia Metz und Akos Losz für Anregungen, Mitwirkung und Feedback zu diesem Bericht.

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