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Op-Ed- Ein Schritt vorwärts ist nicht genug – die verpasste Chance der Klimakanzlerin

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Op-Ed- Ein Schritt vorwärts ist nicht genug – die verpasste Chance der Klimakanzlerin

Seit Monaten schon wurde der vergangene Freitag zum Höhepunkt deutscher Klimapolitik im Jahr 2019 hochstilisiert. Während 1,4 Millionen Menschen bei Klimastreiks im ganzen Land auf die Straße gingen, verabschiedete die Bundesregierung ein Klimapaket mit dem Ziel, die nationalen und europäischen Klimaziele für das Jahr 2030 zu erreichen. Noch vor etwas mehr als einem Jahr – vor Fridays for Future, dem Hitzesommer 2018 und dem Höhenflug der Grünen – wäre ein solches Klimapaket der Großen Koalition kaum denkbar gewesen. Die eingeführte Architektur, insbesondere ein Klimaschutzrahmengesetz und eine CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Gebäude, ist ein Schritt vorwärts. Die Maßnahmen des Pakets reichen jedoch nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen und bleiben weit hinter den Erwartungen vieler Akteure aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zurück. Erste Analysen gehen davon aus, dass mit diesem 54 Milliarden Euro Paket nur ein Drittel der Lücke zum Klimaziel 2030 geschlossen werden kann.

Die öffentliche Debatte in den vergangenen Wochen fokussierte sich vor allem auf die Einführung eines CO2-Preises für die Bereiche Verkehr und Gebäude. Der nun eingeführte Preis, beginnend mit 10€ pro Tonne im Jahr 2021, ist äußerst niedrig und wird vorrausichtlich keine nennenswerte Lenkungswirkung haben. Experten hatten einen Anfangspreis in Höhe von bis zu 50€ empfohlen. Darüber hinaus werden neu eingeführte Maßnahmen wie ein Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windkraftanlagen und Siedlungen den Ausbau der Erneuerbaren Energie eher bremsen als beschleunigen und die deutsche Energiewende weiter unter Druck setzen.

Dabei beeinflussen nationale Klimapolitik und deren konkrete Umsetzung beeinflussen zunehmend die Glaubwürdigkeit Deutschlands auf der internationalen Bühne. Entgegen aller Rhetorik ist „Klimakanzlerin“ Merkel nicht auf die internationale Bühne zurückgekehrt, wie wir in unserer Analyse im Detail erläutern. Um ihre frühere Rolle als Vorreiterin in der internationalen Klimapolitik wiederzuerlangen, muss die Bundesregierung ihr Klimapaket noch vor der COP25 im Dezember deutlich nachschärfen.

2020 ist ein entscheidendes Jahr für die globale Klimapolitik. Die ehemalige Bundesministerin und baldige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat versprochen, zentrale Elemente ihrer EU-Klimaschutzagenda umzusetzen, und Deutschland wird in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Ende 2020 findet zudem die wichtige Klimakonferenz in Glasgow (COP26) statt und Leipzig wird europäische und chinesische Regierungschefs zu einem wichtigen Gipfeltreffen begrüßen. Entschlossenes Handeln seitens Deutschlands ist zudem notwendig, um Rückschritte beim G7 Gipfel in den USA und beim G20 Gipfel in Saudi-Arabien zu verhindern.

In Anbetracht dieser Agenda und einer zunehmend instabilen geopolitischen Lage, die mit einer Fragmentierung westlicher Bündnisse und aufkommendem Populismus einhergeht, muss Deutschland eine stärkere und stabilisierende Rolle in der multilateralen Politik und bei der Verteidigung des globalen regelbasierten Systems spielen – insbesondere auch beim Kampf gegen den Klimawandel. Auch innerhalb der EU muss Deutschland wieder eine stärkere klimapolitische Führungsrolle übernehmen, damit das Ziel einer klimaneutralen EU vor dem Jahr 2050 erreicht werden kann.

Bei der Präsentation des Klimapakets auf dem UN-Klimagipfel in New York versuchte sich Angela Merkel erneut als „Klimakanzlerin“ zu positionieren. Doch die nationalen Maßnahmen sind bei Weitem nicht ausreichend, um beim Klimaschutz wieder eine internationale Führungsrolle einnehmen zu können. Während Deutschlands Ruf international weiterhin stark von den Erfolgen der Energiewende profitiert, zeigten sich auch viele internationale Beobachter vom Klimapaket enttäuscht. Perspektivisch muss Deutschland im eigenen Land klimapolitisch tatsächlich liefern, um auf dem internationalen Parkett glaubwürdig agieren und anderen als Vorbild dienen zu können.

Weiterhin beobachten viele Länder sehr genau, wie Deutschland Klimapolitik und einen gerechten Strukturwandel plant und umsetzt: Die tschechische Regierung hat beispielsweise kürzlich eine Kohlekommission nach dem deutschen Vorbild eingerichtet. Darüber hinaus hat Deutschland einen erheblichen Einfluss auf die EU-Klimapolitik, und das Handeln der Bundesregierung wird Ursula von der Leyens Chancen zur Umsetzung ihrer ambitionierten Klimaagenda erheblich beeinflussen. So war auch die Unterstützung Deutschlands für das Ziel der EU-weiten Klimaneutralität bis 2050 ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur (noch ausstehenden) Bestätigung dieses Ziels, und die Bundesregierung spielt eine wichtige Rolle in den Verhandlungen mit den Ländern, die dem Ziel noch nicht zugestimmt haben. All dies zeigt, welch entscheidenden Einfluss Deutschlands Entscheidungen auf die Umsetzung von Klimaschutz in anderen Ländern haben.

In den kommenden Monaten wird der Vorschlag der Bundesregierung in Gesetze gegossen, die von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden müssen. Weitere Unsicherheitsfaktoren könnten die Umsetzung des Pakets beeinflussen. So könnte die vehemente Kritik am Klimapaket bestehende Meinungsunterschiede zwischen den Koalitionsparteien weiter vertiefen, insbesondere im Kontext der aktuellen Wahlen um den SPD-Parteivorsitz. Fast alle Kandidaten lehnen das vorgelegte Paket ab oder sehen es zumindest kritisch. Zudem wird das Klimapaket mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rolle bei der Entscheidung zur Fortsetzung oder Beendigung der Großen Koalition auf dem SPD-Parteitag im Dezember spielen.

Das vorgeschlagene Klimapaket kann daher nur den ersten Schritt in einem längeren Transformationsprozess darstellen. Die anstehenden Entwicklungen sind in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob Angela Merkel ihre Kanzlerschaft als „Klimakanzlerin“ abschließen und ob Deutschland bei den globalen Bemühungen, den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen, wieder eine glaubwürdige Führungsrolle einnehmen kann.

Ursprünglich veröffentlicht bei Euraktiv.

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