Wenn Ende des Jahres eine neue, womöglich grünere, Regierung ihr Amt antritt, steht sie vor mindestens zwei großen internationalen Herausforderungen: Die Übernahme der G7-Präsidentschaft und die Modernisierung des außenpolitischen Establishments, das sich müht, mit einer Welt im Klimawandel Schritt zu halten. Denn Deutschlands und Europas außenpolitische Interessen haben sich verändert.
Die Bekämpfung des Klimawandels und eine geordnete globale Energiewende sind entscheidend für die Gewährleistung von Sicherheit und Wohlstand innerhalb und außerhalb der europäischen Grenzen. Der Klimawandel ist daher zentral für alle Facetten der Außenpolitik des nächsten Jahrzehnts.
Klima als geopolitischer Risikofaktor
Die Auswirkungen des Klimawandels sind ein “Bedrohungsmultiplikator”, der Konflikte in Europas Nachbarschaft verschärft, zentrale deutsche und europäische Interessen bedroht und eine enorme Herausforderung für die regel-basierte Weltordnung darstellt. Extreme Wetterereignisse auf der ganzen Welt werden häufiger und intensiver und verschärfen das Potenzial für Konflikte um Wasserressourcen und knappe Nahrungsmittel. Die Zerstörung von Ökosystemen und die globale Erwärmung begünstigen den Ausbruch von Pandemien und bedrohen die menschliche Gesundheit. Auch die Transformation des Energiesystems wird spürbare Veränderungen der globalen Machtverhältnisse mit sich bringen: Die Neuausrichtung von Energiehandelsströmen und Finanzflüssen sowie die Folgen des Klimawandels bedrohen die Stabilität von Staaten, deren Volkswirtschaften heute von Einnahmen aus Exporten fossiler Energieerzeugnisse abhängen. Die Stabilität der geopolitischen Ordnung wird auch davon abhängen, ob sich für diese Staaten neue wirtschaftliche Perspektiven ergeben werden.
Klimaschutz als Hebel zur Gestaltung der globalen Zusammenarbeit
Der Kampf gegen den Klimawandel hängt zentral von einer regel-basierten Weltordnung ab. Und gleichzeitig kann die Zusammenarbeit zum Klimaschutz genau dieses regel-basierte System stärken. Klimaschutz bietet sogar potenziell die Chance, Großmächte zu verpflichten und geopolitische Spannungen abzufedern. Denn die USA und China sind auch selber stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. So hat sich insbesondere China trotz wachsender nationaler Machtpolitik in den vergangenen Jahren weiterhin um Kooperation zum Thema Klima bemüht. Folglich muss die deutsche Außenpolitik als Ganzes noch stärker als Instrument verstanden werden, das gezielt für den globalen Klimaschutz als Eckpfeiler des Multilateralismus eingesetzt werden kann.
Dafür schlagen wir folgende Maßnahmen vor:
- Nutzung der deutschen G7-Präsidentschaft als Motor für eine klimagerechte internationale Strukturpolitik: Die multilaterale Ordnung zum Wohle des Klimas zu nutzen bedeutet auch, multilaterale Organisationen und Institutionen in diesem Sinne aktiv zu stärken und, wo nötig, zu reformieren. Von besonderer Relevanz ist hier die deutsche G7-Präsidentschaft im kommenden Jahr – Sie muss zum Motor für die klima-gerechte Strukturreform werden. Gemeinsam mit der G7 und den transatlantischen Partnern muss die Bundesregierung die internationalen wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Rahmenbedingungen, Standards und Strukturen sowie die multilateralen Entwicklungsbanken reformieren, um Finanzströme freizuschalten, die für die sozio-ökologische Erholung von der COVID-19 Pandemie und die globale Grüne Transformation notwendig sind.
- Finanzströme so gestalten, dass die Billionen von schmutziger zu sauberer Energie verschoben werden: Die Bundesregierung muss ihren Anteil an internationalen Institutionen nutzen, um sicherzustellen, dass diese klimaverträglich sind. Zum Beispiel um zu gewährleisten, dass alle Investitionen, die über multilaterale Entwicklungsbanken wie die Kreditbank für den Wiederaufbau (KfW) und die Weltbank getätigt werden, mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang stehen. Oder um sicherzustellen, dass Klimarisiken in die wirtschaftlichen Bewertungen des Internationalen Währungsfonds integriert werden.
- Modernisierung der außenpolitischen Maschinerie: Für die Neuausrichtung der Außenpolitik ist auch eine strukturelle Neuorientierung notwendig. Die Kapazitäten für Klima und Energie in deutschen Ministerien müssen nicht nur in der Klima- und Energiediplomatie, sondern auch in Bereichen der internationalen Strukturpolitik, der Außenindustriepolitik sowie Foresight und Planung aufgestockt und so verlagert werden, dass sie eine effektive Antwort auf die neuen Herausforderungen bieten. Auch ein deutscher Posten äquivalent zu John Kerry, dem US-Sonderbeauftragten für Klima, wäre von großem Mehrwert.
- Strategische Nutzung des Marktes, um ein grünes Wettrennen anzustoßen: Klimaaußenpolitik kann zu einer Win-win-Situation für Europa und seine internationalen Partner werden. Dafür muss Deutschland sein geopolitisches Gewicht strategisch nutzen und – in enger Kooperation mit Partnern – eine überzeugende Alternative zu Großinvestitionen, insbesondere von Seiten Chinas, bieten. Mit europäischen und transatlantischen Partnern sowie multilateralen Entwicklungsbanken umfangreiche Angebote zur Unterstützung einer Grünen Transformation zu erarbeiten, bietet die Chance ein grünes Wettrennen (weg von Kohle, hin zu Erneuerbaren und Resilienten Systemen) – auch im Bereich der Auslandsinvestitionen – anzustoßen.
- Neuausrichtung der deutschen Energiediplomatie auf Klimaneutralität: Die Stabilität der geopolitischen Ordnung wird auch davon abhängen, ob sich für Netto-Exporteure fossiler Energien neue wirtschaftliche Perspektiven ergeben. Die deutsche Klima- und Energiediplomatie müssen besser miteinander verschränkt und konsequent auf das Gelingen der globalen Energiewende ausgerichtet werden.Nur so können geopolitische Effekte abgefedert und gleichzeitig die Chancen genutzt werden, die sich durch die wachsenden globalen Märkte für erneuerbare Energielösungen ergeben. Dazu müssen institutionelle Kapazitäten aufgebaut, neue Kooperationen im Bereich der sauberen Energien forciert, öffentliche Investitionen und Subventionen auf Klimaneutralität ausgerichtet und, wo nötig, internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation (WTO) reformiert werden. Deutschland kann hier eine prägende Rolle bei der Umsetzung der Ratsschlussfolgerungen zur Klima- und Energiediplomatie vom 25. Januar 2021 einnehmen.